Immer wieder neu: Stress im Alltag, Stress im Job. Muss das sein? Ich möchte mich heute dem Thema Stress widmen, in dem ich einige Thesen aufstelle und Tipps zur Stressbewältigung gebe.
These 1: Stress ist nicht vermeidbar. Stress ist eine biologische Konstante.
Die Summe der Sorgen und Spannungen ist konstant sowie die Menge des verantwortlichen Neurostransmitters konstant ist: Cortisol. Das liegt daran, dass wir gar nicht in der Lage sind, das Bedrohungspotenzial objektiv wahrzunehmen. Wir nehmen es immer relativ wahr.
In der Kindheit war es die Sorge, ob wir die Matheklausur bestehen, im Erwachsenenleben sind es die beruflichen Prüfungen. So könnte man meinen, dass der Stress im Alter abnimmt. Das ist aber nicht der Fall. Dann geht es eben um den Stress, den der nächste Arzttermin auslöst oder dass sich ein Besuch angekündigt hat.
Objektiv ist das Bedeutungs- und Bedrohungspotenzial sehr unterschiedlich. Subjektiv nicht.
Sorge ist Sorge, Angst ist Angst, Stress ist Stress. Und das ist eine biologische Konstante.
Fazit: Wenn wir also schon Stress haben müssen, dann sollte es sich auch lohnen.
These 2: Es gibt guten und schlechten Stress.
Schon die Griechen haben in Eu- und Distress unterschieden. Wenn ich vor etwas Angst habe, wird Cortisol ausgeschüttet. Wenn ich mich auf etwas freue, dann produziert mein Körper Dopamin. Auch letzteres gibt Anspannung, aber diese ist lösbar und ich bin motiviert, etwas zu tun. (Die eigenen Gefühle beeinflussen.)
Auch nach vielen dutzenden Vorträgen, die ich gehalten habe, entsteht immer noch Distress. Ich könnte versagen, könnte die falschen Dinge sagen, könnte mich blamieren. Dem versuche ich entgegenzuwirken, mit Sätzen wie „Ich kann die Erwartungen der Zuhörer steuern.“, „Ich habe etwas zu sagen.“ Oder „Ich kann mit dem, was ich sage, anderen Menschen helfen und die Welt ein kleines bisschen besser machen.“
Fazit: Suche nach den positiven Effekten des Stresses. Stelle den negativen Katastrophen-Szenarien positive Ziele gegenüber.
These 3: Stress ist das Produkt aus subjektiver Bedeutung und subjektiver Ungewissheit.
Meines Erachtens sind es zwei Hauptfaktoren, die das Ausmaß von Stress ausmachen. Zum einen natürlich das Ausmaß an Bedeutung und Bedrohung, die eine Situation für mich hat. Zum anderen das Ausmaß an Kontrolle, die ich über die Situation habe.
Nebel und Dunkelheit gebären Gespenster und Geister.
Goja
Mache ich diese beiden Variablen zur x- und y-Achse, so entstehen vier Felder.
Hohe Bedeutung & Hohe Kontrolle
- Aufgaben, bei denen ich die Anforderungen kenne und Zeit habe, sie zu erfüllen.
- Masterarbeit, Projektarbeit.
Hohe Bedeutung & Geringe Kontrolle
- Wichtige Ereignisse, bei denen ich weder die Erwartungen, noch die Beteiligten kenne
- Ich kenne zwar die Erwartung, stehe aber unter Zeitdruck und damit in der Unsicherheit, was ich nicht mache. Ich muss unter Zeitdruck entscheiden und verliere die Kontrolle darüber, was die richtige Entscheidung ist
- Wichtiger Vortrag, aber ich kenne die Teilnehmer nicht
- Wichtige Klausur und ich weiß nicht, welches Thema drankommt
Geringe Bedeutung & Hohe Kontrolle
- Fast alle Tätigkeiten in den sicheren vier Wänden des eigenen Zuhauses
- Lesen, Essen, Trance-Fernsehen
Geringe Bedeutung & Geringe Kontrolle
- Seminar mit bekanntem Thema, aber unbekannten Teilnehmern
- Einkaufen in neuen Geschäften, Fahrten mit der Bahn
Fazit: Versuche, möglichst viel Kontrolle zu gewinnen. Frage jeden, der etwas wissen könnte. Was wird erwartet? Wie wird beurteilt? Was ist wichtig, was ist unwichtig? Wer sind die Menschen, mit denen Du es zu tun bekommen wirst? Kannst Du Dich mit einigen von Ihnen bereits bekanntmachen?
Bedenke: Wir werden nicht nach Leistungen beurteilt, sondern danach, ob wir Leistungen erfüllen.
These 4: Nicht das Ausmaß an Stress ist bedrohlich, sondern die Dauer.
Stress heißt übersetzt nichts anderes als „Spannung“. Es ist ein biologisch notwendiges Grundprogramm. Wir brauchen es, um Energie zur Verfügung zu stellen, damit wir es bewältigen können.
Stress gehört zu den Urprogrammen des Menschen und ist ursprünglich dazu gedacht, dem Menschen in der Savanne das Leben zu retten. Fliehen, kämpfen, totstellen.
Es ist nicht weiter schlimm, wenn ich die Sehne eines Bogens anspanne und den Pfeil bald darauf fliegen lasse. Es ist bedrohlich, wenn die Spannung aufrecht erhalten bleibt, ich aber gar kein Ziel habe. Es ist diese Dauerspannung, die krank macht und zu Burnout führt. Bedrohlich ist es also, wenn ich Situationen ausgesetzt bin, in denen ich keine Kontrolle habe, ich aber gleichzeitig nichts tun kann, um diese Kontrolle wieder zu gewinnen. Das führt zu Dauerstress und Dauer-Urangst.
Stell Dir vor, Du hast einen Job und kannst täglich gekündigt werden. Du weißt nicht, was Du tun kannst, um den Job zu sichern, weil es keine Erwartungen gibt oder sich die Erwartungen ohne Dein Wissen geändert haben. (Der Weg aus der Angst – 4 Schritte)
Dass sich Spannung aufbaut, ist völlig normal. Das lässt sich nicht vermeiden und das sollten wir auch nicht vermeiden. Das Problem besteht, wie gesagt dann, wenn sich die Spannung nicht abbauen lässt und sie zu einem Dauerzustand und zu einer Dauerspannung wird.
Eine der wichtigsten Aufgaben zur Stressbewältigung ist also, Wege zu finden, in das Agieren und Lösen zu kommen, damit die Spannung, die aufgebaut wurde, abgebaut werden kann.
Darum ist es meiner Ansicht nach überhaupt nicht sinnvoll, älteren Leuten alles abzunehmen. Sie brauchen sich dann irgendwann um nichts mehr zu kümmern, sprich der natürliche Stressaufbau geschieht immer noch, allerdings gibt es jetzt keine Punkte mehr, an denen sich diese älteren Menschen entspannen können. Und somit entstehen natürlich generalisierte Ängste, die häufig irrationalen Charakter annehmen. Wenn also der Bogen und die Sehne kein Ziel finden, bleibt ihnen nur die irreale Welt übrig.
Fazit: Vermeide Situationen, in denen Du nichts tun kannst, um die Kontrolle zu gewinnen. Und wenn es nicht anders geht, dann mach Dir klar, dass Du wie auf hoher See in Gottes Hand bist. Lass los und vertraue dem Schicksal, denn auch dann kannst Du die Bogensehne entspannen. Denn so brauchst Du keine Energie, die Du vorhalten musst, um schnell zu reagieren.
Zusammenfassung: Stressbewältigung
Stress lässt sich nicht vermeiden, aber Du kannst Dich fragen, ob sich der Stress für diese Aufgabe / diesen Termin lohnt.
Du kannst dem Distress Eustress entgegensetzen, indem Du nach positiven Zielen fragst. Wozu ist es gut, was Du da machst? Hauptauslöser für Stress ist Ungewissheit. Entscheide Dich: Lässt sich die Ungewissheit in Deiner Situation überhaupt auflösen? Falls nein, dann lass los. Es ist wie ein Glücksspiel auf hoher See oder vor Gericht. Vertraue Dich dem Schicksal an.
Aber die wichtigste Möglichkeit zur Stressbewältigung ist Aufklärungsarbeit. Was kannst Du tun, um zumindest teilweise Kontrolle über die Situation zu bekommen? Wer war schonmal da, wo Du jetzt stehst? Wo hast Du bereits ähnliche Erlebnisse gehabt? Wen kannst Du fragen?
Es ist immer ein unbekanntes Gelände, das Stress auslöst. Man kann sich eine Karte für dieses Gelände besorgen, aber die ist vielleicht schwer zu lesen. Vor allem sollte man sich deshalb Menschen suchen, die schon einmal da waren. Stress ist gespeicherte Energie, ist Spannung. Aufklärungsarbeit baut sie ab.
Stressbewältigung hat also viel mit Erwartungsmanagement zu tun. Fang heute noch bei Dir selbst an: Erwartungen an sich selbst managen.
© Grannemanns Workbook