Macht zeigt nicht den Charakter eines Menschen – sie verändert ihn.
Warum verhalten sich Führungskräfte mit Macht tendenziell wie Menschen mit einem Hirnschaden (Prof. Dacher Keltner)? Macht verändert. Manchmal zum Guten, meist jedoch zum Bösen. Wie kommt es zu diesem Paradoxon der Macht, zum Verlust an Empathie und sozialem Verhalten?
Herr K. wird etwas unerwartet zum Vorstand seines Unternehmens ernannt. Er bittet seinen Kollegen Herrn B. glaubhaft, ihn doch unbedingt darauf hinzuweisen, wenn er sich verändern sollte. Neun Monate später bekommt Herr B. nicht einmal mehr einen Termin bei seinem ehemaligen Kollegen.
Termine bekommen nur noch die Leute im engeren Kreis schnell und unkompliziert. Alle anderen, außerhalb dieses Zirkels, bekommen diese Form der Macht zu spüren, denn sie wollen alle etwas Böses. Feedback wird zum Angriff oder Jammern, Ideen werden zum Zeichen der eigenen fachlichen Unterlegenheit und positives Feedback zur Lobhudelei. Die, die vorher hohe soziale Fähigkeiten hatten, werden herrisch und schotten sich ab. In dem Augenblick, in dem sich der Blick für soziale Netzwerke noch einmal erweitern sollte, in dem eine breite Informationsaufnahme so wichtig wie nie zuvor ist, verengt er sich auf die Mechanismen einer Horde, in der nur noch „kurzdistante“ Loyalitäten zählen.
„Menschen mit Macht haben einen Hirnschaden“
„Führungskräfte mit Macht verhalten sich tendenziell wie Menschen mit einem Hirnschaden“, fasst Prof. Dacher Keltner (University of California, Berkeley) seine Forschungen zusammen. Macht zeigt nicht den wahren Charakter eines Menschen, sondern verändert ihn. Auch Prof. Philip G. Zimbardo (Stanford University) kommt zu der These, dass Macht unweigerlich verändert. Zum Bösen oder zum Guten, meist jedoch zum Bösen.
Dazu gibt es ein paar höchst bemerkenswerte Experimente der US-Psychologin Deborah Gruenfeld von der Stanford Universität. Sie fand zum Beispiel heraus, dass folgende Dinge passieren, wenn Menschen mächtig werden:
- Sie fokussieren sich mehr auf die Befriedigung eigener Bedürfnisse und kümmern sich weniger um die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter.
- Sie halten sich selbst immer weniger an die Regeln, deren Einhaltung sie von allen anderen erwarten.
Aber wie es zu diesem Paradoxon der Macht, zu diesem plötzlichen Verlust an Empathie und sozialem Verhalten kommt, bleibt unbeantwortet.
Über die Ursachen weiß man kaum etwas, nur die Folgen sind ziemlich klar. Es wird Menschenschach gespielt, ohne dabei auf die Folgen für die Menschen zu schauen. Die Entscheidungen sind einsam und hart, die Begründungen dazu weich und für die Mitarbeiter nicht ausreichend nachvollziehbar (Dabei sollte es eher umgekehrt sein: Die Begründungen sind hart und klar und die Entscheidungen sind offen für Anpassungen).
Was hilft? Eine Anti-Macht-Therapie als Standard für alle Vorstände? Führungs-Guidelines? Ein Luxusseminar zum Thema ethisches Management und werteorientierte Führung? Machtmissbrauch-immune Kandidaten suchen und finden? Immerhin meinte ja schon Platon, dass die besten Herrscher diejenigen wären, die den Job eigentlich gar nicht haben wollen.
Was hilft? Prof. Philip G. Zimbardo empfiehlt:
Regelmäßiges, institutionelles Feedback auf allen Ebenen, Regeln zu Transparenz und Offenheit.
Vielleicht ist alles aber auch ganz anders – eine systemische Gegenhypothese
Was wäre aber, wenn das alles nicht das Top-Management, sondern nur das Bild des Top-Managements beschreiben würde? Fast alle kommunikativen Effekte, die auf eine mögliche Veränderung der Machthaber hinweisen, sind durch andere Personen vermittelt.
Vielleicht bleibt ja das Verhalten des Vorstands gleich und lediglich der Zirkel, der sich um den Vorstand schließt, der Hand, Auge und Ohr des Top-Managements ist, verändert sich.
In der inneren Kammer der Macht angekommen, verändern sich die Regeln. Die Bienenkönigin wird gefüttert und muss nur noch eine Entscheidung nach der anderen produzieren. Aber welche Informationen kommen in den Kreis, was passiert damit und was dringt wieder nach außen?
„Nicht Macht korrumpiert den Menschen, sondern Furcht.
Furcht vor dem Verlust der Macht korrumpiert jene,
die diese Macht ausüben,
und Furcht vor dem Zugriff der Macht korrumpiert jene,
die ihr unterworfen sind.“ (Aung San Suu Kyi)
Es gibt keine Studie zu diesem Thema und kein Führungsberater (oder Coach) hat einen Überblick. Aber aus vielen Coachings weiß ich, dass meine Klienten sich ausnahmslos darüber erschrocken zeigen, was aus den eigenen Absichten oftmals schon zwei Hierarchiestufen tiefer wird. Die ausgesendeten Bilder sind nicht selten bis zur Unkenntlichkeit verzerrt und mit dem Effekt des „Stille-Post-Spiels“ alleine nicht mehr zu erklären.
Egal worauf die Machteffekte jedoch beruhen, Zimbardos Empfehlung nach institutionellem Feedback auf allen Ebenen ist umso notwendiger!
© Grannemanns Workbook