Können wir unser Verhalten steuern? Wer führt uns eigentlich? Oder, warum wir nicht immer das tun, was vernünftig wäre. Was entscheidet darüber, wenn wir zur Schokolade greifen, obwohl wir abnehmen wollen, eine Aufgabe immer wieder verschieben, im Meeting einen Kollegen anfahren, ein Gespräch vor uns herschieben usw.? Ist es unser Bewusstsein, unsere kognitive Intelligenz, die dort die Macht hat?
Jonathan Haidt (Die Glückhypothese, VAK-Verlag) wählt das Bild vom Elefanten für den intuitiven, alten und den des Reiters für den neuen, kognitiven Teil unseres Gehirns.
(Der große und alte Teil, unser Unterbewusstsein, sorgt für das Überleben und unsere Intuition führt uns sicher durch das Leben. Der neue Teil, die Vernunft, lässt uns Dinge betrachten und vor allem kommunizieren, die nicht unmittelbar sichtbar sind.)
Elefant = intuitive Intelligenz, Unterbewusstsein
Reiter = kognitive Intelligenz, Vernunft
Der Reiter aus Sicht des Elefanten
Aus der Sicht des Elefanten ist der Reiter (die Vernunft) ein wunderbares neues Organ, das 1. den Blick weit in die abstrakte, nicht sinnliche Welt erweitert und 2. durch die Sprache die Verbindung mit anderen Elefanten herstellt.
So kann der Affe zwar in eine Richtung deuten und ein Gefühl zeigen, um z.B. auf eine Gefahr hinzuweisen. Aber nur der Mensch kann einem anderen Menschen kommunizieren: „Wenn wir den Marktanteil nicht erhöhen, werden wir den Forecast nicht erreichen“.
Der Reiter erlöst den Elefanten aus dem Gefängnis des Hier und Jetzt. Die Vernunft hat aber nur dann wirklich etwas zu sagen, wenn der Elefant nichts Besseres oder Wichtigeres vorhat. Am Ende entscheidet immer der Elefant, denn nur er hat die Verbindungen mit den Angenehm-/Unangenehm-Bewertungszentren, deren Arbeit uns als Gefühle zurückgemeldet werden. Was der Reiter tun kann, ist, dass er Entscheidungsvorlagen macht, auf die der Elefant alleine nie gekommen wäre (Werde ich auch im Alter versorgt sein? Was ist, wenn ich nicht anrufe? Bewegung ist gut für Gesundheit.). Wirklich steuern kann der Reiter das Verhalten des Elefanten aber nicht.
„Aufschieberitis“ und Verdrängung: Elefanten-Veto schlägt Reiter-Vernunft
In der Regel funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Reiter und Elefant ganz hervorragend. In manchen Bereichen funktioniert sie allerdings gar nicht. Da spielt uns die Unlustaversion (vermeide alles, was Dir gefährlich werden könnte; Schutz) und die Lustappetenz (suche, was Dir guttut; Nahrung, Sicherheit) einen Streich.
Beispiel: Kläre mit einem Mitarbeiter oder einem Kunden einen Konflikt. Das tut der Beziehung und der Zukunft gut. Man nimmt sich den Anruf vor und trägt ihn vielleicht sogar in seinen Kalender ein (Appetenz). Je näher der Termin jedoch kommt, desto mehr nehmen die inneren Bilder und Szenen zu, in denen etwas schief gehen könnte. Was tut der Elefant? Er schützt uns natürlich und dreht ab. Manchmal sogar mehrmals hintereinander, wenn es nötig sein sollte. Er weicht aus und geht zu Tätigkeiten, die mehr Lust oder weniger Unlust versprechen. Wir lenken uns ab, sind offen für andere Auslöser, wie die nächste Mail, der Kollege, der anruft oder vorbeikommt.
In diesem Moment kommt noch eine andere Funktion hinzu. Der Elefant gibt dem Reiter den Auftrag, das Verhalten zu erklären, zu rationalisieren. So wird der Reiter zum Sprecher des Elefanten. Hirnphysiologen nennen diese Funktion die „Konfabulation“ oder das „Interpretationsmodul“. Dieses Erklärungsverhalten ist ein weiterer Grund, warum uns der Reiter so viel mächtiger vorkommt, als er in Wirklichkeit ist.
Wer steuert uns also? Elefant oder Reiter?
Diese Frage geht ungeklärt aus. Sie ist aber auch gar nicht wichtig. Die eigentlich wichtige Frage lautet: Was kann der Reiter tun, um die Kommunikation und die Zusammenarbeit zwischen Reiter und Elefant zu verbessern? Denn in dieser Kommunikation scheint der Erfolg oder die Kunst der Lebensführung zu liegen. Was wir also trainieren können/sollten, ist, die Kunst, den Elefanten zu beeinflussen, mit ihm noch besser zu kooperieren, die Zusammenarbeit noch besser zu machen.
Kann ich den Elefanten beeinflussen, sogar sein Verhalten steuern?
Und wann kommunizieren die beiden miteinander? Immer dann, wenn wir tagträumen, schlafen, meditieren, daddeln, trancen und und und.
Der Reiter liest, er hat also gerade die Kontrolle und kann unser Verhalten steuern! Nicht ganz. Du atmest gerade, Du verdaust gerade, Deine Haare wachsen gerade. Der Elefant tut vieles automatisch für uns. Sollten wir ihm diese Aufgaben wegnehmen? Wohl kaum. Aber vielleicht eine gute Gelegenheit, Deinem Elefanten zu danken: Der Elefant sorgt sicher für uns. Er sorgt für Hunger und Durst zum Überleben, Lust auf Sex für die Fortpflanzung, Angst für die Vermeidung von Gefahren, Wut und Ärger, um Revier und Rechte zu verteidigen. Der Elefant führt uns sicher, mit hoher erlernter Weisheit durch unser Leben.
Du kannst weiterlesen, solange nicht eine andere Instanz des Elefanten Dir etwas anderes sagt. Wenn jedoch Dein Bauch zum Beispiel meldet: Zu wenig Zucker im Blutkreislauf, zu wenig Energie. Wie aus dem Nichts würdest Du aufstehen, zur Küche gehen oder in Deine Tasche oder Schublade schauen.
Wenn diese Worte jetzt aktuell Deine Bauchnachricht verstärkt haben sollte, dann iss etwas und danach gibt es hier noch viel zu entdecken. Wie sieht es zum Beispiel mit Deinem Job? Sagt Dir die Vernunft, dass Du diesen Job machen musst oder würdest Du es auch tun, wenn nur der Elefant zu entscheiden hätte? Hast Du den richtigen Beruf?
©Grannemanns Workbook