Konflikte – Fakten verletzen nicht. Wir sollten nicht sagen: „Nie besuchst Du mich. Kannst Du nicht endlich mal mehr Rücksicht auf mich nehmen?!“ Oder: „Erzähl doch nicht so ein Blödsinn.“
Statt dieser Du-Botschaften sollen wir seit Thomas Gordon und einer Unmenge von Konflikt Coaches sogenannte Ich-Botschaften formulieren:
„Ich bin traurig, dass Du mich so wenig besuchst.“
„Ich fühle mich von Dir nicht wertgeschätzt.“
„Ich habe den Eindruck, dass Deine Art zu formulieren mich nicht erreicht (ich verstehe Dich nicht).“
Man kann hinschauen wo man will, in fast allen Ratgebern wird uns das empfohlen. Mir scheint, dass dort einer vom anderen abschreibt. Und wenn es so viele schreiben, muss es doch richtig sein. Oder? Mir kommt diese Art der Kommunikation unnatürlich, gestelzt und realitätsfremd vor. Und ich bin mir nicht sicher, ob diese Art der Kommunikation wirklich entscheidend besser ist als der offene unverhohlene Vorwurf. Das mag unter Umständen daran liegen, dass es für den anderen viel zu leicht ist, aus der ich Botschaft die passiv aggressive Opferhaltung heraus zu hören. Auch die andere Form der ich Botschaft – „Ich habe einen Wunsch an Dich…“, „Ich wünsche mir, dass …“ unterstellt bereits, dass man ein Recht zu wünschen habe und kommt sehr schnell, je nach Tonlage und Körpersprache, als verdeckte Forderung an.
Jetzt fragst Du natürlich zu Recht: „Wenn nicht mit Ich-Botschaften, wie denn dann?“
Sagen, was ist.
Bei Konflikten kommt es fast immer darauf an, die ersten richtigen Worte zu finden. Worte, die nicht zu einer Fortsetzung oder gar Eskalation führen, sondern den Anfang für die Auflösung des Knotens bilden.
Ich glaube einfach nicht, dass unsere Gefühle wirklich dazu geeignet sind, Konflikte zu lösen. Weder wenn meine Wut, Enttäuschung, Trauer oder Frust sich darin äußern, dass ich den anderen anblaffe, angreife und ihm Sachen vorwerfen, noch wenn ich diese Gefühle artikuliere.
Ich versuche eher eine sachliche Beschreibung der Beziehung zu finden. Das ist nicht einfach oder lapidar. Das ist manchmal richtig viel Gedankenarbeit. Das fällt umso schwerer, je mehr Emotionen den klaren Blick auf die Beziehung verstellen. Es geht also weder darum, die eigene Perspektive (erste Wahrnehmungsposition) noch die Perspektive des anderen („Ich vermute, dass Du sauer bist.“, zweite Wahrnehmungsposition), sondern den klaren, neutralen, nüchternen Blick von außen auf die Beziehung (dritte Wahrnehmungsposition) zu suchen. Dann kommen Start-Formulierungen heraus, die folgenden Sätzen ähneln, an denen sich sinnvollerweise Ideen für einfache nächste Schritte anschließen:
„Mir scheint, dass wir beide andere Schlüsse aus der jetzigen Situation ziehen.“
„Kann es sein, dass wir völlig andere Erwartungen an diese Sache haben? (Wollen wir die noch einmal übereinanderlegen?)“
„Wir haben uns da wohl völlig verfahren in dieser Sache. Oder? Eigentlich will ich das nicht. Eine Idee wie wir daraus kommen?“
„Wir haben uns sehr lange nicht mehr gesehen. Lust auf ein Treffen?“
„Manchmal denke ich, dass ich verdeckte Erwartungen an Dich habe, von denen du gar keinen Schimmer hast.“
„Mit bestimmten Sätzen oder Aktionen scheine ich einen Nerv bei Dir zu treffen. Stimmt das? Kriegen wir raus, was das ist?“
„Seit XY haben wir keinen echten Kontakt mehr gehabt. Man kann schon sagen, dass sich unsere Beziehung ziemlich plötzlich erkaltet hat. Und ich glaube, dass ich Dir auch eine Erklärung schuldig bin, warum ich mich nicht gemeldet hab. Ich würde das gerne abschließen wollen. Du ja vielleicht auch? Gibt es zum Beispiel etwas, was Dich geärgert hat damals?“
Bei Kündigungen: statt „Wir sind mit Deinen Leistungen einfach nicht mehr zufrieden. Du machst Deinen Job nicht (richtig). Auch andere haben sich über Dich beschwert. Ich fühle mich in meinen Erwartungen und Wünschen von Dir nicht respektiert. Nach langen Überlegungen sind wir zu der Entscheidung gelangt, …“
Vielleicht besser, sachlicher und treffender: „Ich habe den Eindruck, dass die Ziele und Richtungen, die Du verfolgst und für die Du brennst, nicht zu den Zielen und Richtungen passen, die das Unternehmen eingeschlagen hat /einschlägt.“
Oder: „Viele von den Fähigkeiten, die Du hast und die Dich ausmachen, können wir hier gar nicht einsetzen. Und andere Aufgaben, die wir brauchen, machen Dich nicht zufrieden.“
Vielleicht helfen diese Beispiele, Dir zu zeigen, warum ich so gute Erfahrungen mit der Versachlichung von Konfliktsituationen mache und von reinen Ich-Botschaften lieber Abstand nehme. Im Grunde steht hinter dieser Strategie ein uralter Satz des Philosophen Epiktet: Nicht Tatsachen sind gefährlich, sondern Meinungen sind es. Fakten verletzen nicht, bewerten nicht.
Was sagst Du zum Thema „Ich-Botschaften“? Erfahre, wie Du nicht nur die Kommunikation, sondern auch die Zusammenarbeit mit Deinen Kollegen noch besser gestalten kannst!
©Grannemanns Workbook
4 Kommentare
Mich würde auch ein „wir“ ggr nerven. Weiss nicht… Also GANZ auf ich-botschaften zu verzichten find ich nicht richtig. Jedoch immer zu wissen, welche ausdrucksform wählen ist auch so ziemlich schwierig. Wie denn?
Liebe Irena,
Zum Thema „Wie denn?“: Super Frage! Und ich wäre sehr froh, wenn ich darauf eine universelle Antwort finden könnte. Ich glaube auch, das liegt daran, dass jede Kommunikation so völlig einzigartig ist und daher auch immer eine einzigartige Lösung braucht. Du hast vollkommen Recht. Die Regel „Wir machen ab heute nur noch Wir-Botschaften“ ist genauso falsch wie die Regel „Wir machen ab heute nur noch Ich-Botschaften“. Vielleicht gelingt es uns „Kommunikationsforschern“ ja doch, trotz aller Besonderheiten jeder Situation, die eine oder eine andere Grundregel zu erkennen. Eine Regel beispielsweise lautet für mich, möglichst viele Wahlmöglichkeiten zu haben. Was gibt es neben „ich“, „Du“, „wir“ oder „man“ noch? Das gibt mir die Möglichkeit, jede Situation individuell zu behandeln.
Liebe Grüße
Ulrich Grannemann & Team
Diese schwammigen Formulierungen, die vermuten was ist, helfen nicht weiter.
Sich klar und deutlich ausdrücken ohne Druck zu machen und den anderen zu beschuldigen.
Hilfreich sind auch entschärfende Ergänzungen und Lösungsvorschläge machen:
Ich fühle mich nicht ausreichend wertgeschätzt, kann aber verstehen das es in deiner Situation schwer ist entsprechend auf mich einzugehen, vielleicht können wir vereinbaren, das… Was hälst du davon?
Danke für den Kommentar R.J.
Ja, unbedingt. Man kann am Ende nicht genug Wahlmöglichkeiten haben, die nicht in eine Sackgasse oder einen Sumpf schlechter Gefühle führen.
Eine ziemlich neue Erkenntnis, die mich weiter gebracht hat, war folgender Gedanke: Alle Konflikte und Ärgerpunkte darauf beruhen, dass ich etwas erwartet habe, dass der andere nicht wusste, oder dass der andere etwas weiß und von etwas ausgeht, wovon ich nichts weiß. So gesehen sind alle Konflikte im „Babyzustand“ Missverständnisse. Dann komme ich zu Start-Formulierungen wie: „Wir haben wohl irgendeine Form von Missverständnis“. „Ich vermute, dass wir von anderen Informationsständen ausgehen“. „Irgendeine Info fehlt mir.“ „Zu unserem Vorgang X scheinen mir noch irgendwelche Informationen zu fehlen oder ich habe den einen oder anderen Punkt nicht richtig kommuniziert.“
Der Rahmen für das Gespräch lautet dann: Lass uns nach den Informationen suchen, die einem von uns oder beiden fehlen. Das ist sachlich und trifft im Grunde den Kern der Enttäuschung.
Ulrich Grannemann