Wir erleben gerade einen Systemsprung. Wir leben nicht nur in einem Systemsprung, wir sind selbst Teil dieses Sprunges.
Begriffe wie Emergenz (Das Neue ist mit den Eigenschaften der Teile nicht zu erklären) oder Fulguration (abgeleitet von blitzartigem Auftreten) sind Versuche der Systemtheorie, diesen Vorgang zu beschreiben.
Was gerade entsteht ist ein neues System „Menschheit“.
Die Menschen vernetzen sich zu etwas Neuem. So wie sich Milliarden von Neuronen in unserem Gehirn zu unserem Bewusstsein vernetzt haben. Dieser Systemsprung bleibt nicht ohne Rückwirkung auf die Einzelelemente des Systems selbst. Nämlich auf uns.
Was die Hintergünde dieses Systemsprungs sind, liest Du in Teil 1 der Artikelserie: Das Ausmaß der Veränderung – Menschheit im Wandel
Alle Systemsprünge haben Gemeinsamkeiten
- Lange Zeit passiert nichts oder wenig (Siehe Grafiken zur Entwicklung der Bevölkerungsdichte in „Das Ausmaß der Veränderung – Menscheit im Wandel | Teil 1„)
- Die kritische Masse, ca. 10 hoch 10 Einzelelemente, entspricht 10 Milliarden, wird erreicht oder überschritten.
- Explosion
Beispiele für Systemsprünge in der Natur:
Vom Einzelelement | Zum Sprung / System | Bezeichnung des Systemsprungs |
Energie | Atome, Isotope | Big Bang. Alle Atomarten des Periodensystems entstehen innerhalb weniger Mio Jahren |
Atome | Moleküle/DNA | Entstehung des Lebens. Erst nach ca. 10 Mrd. Jahren entstehen Moleküle, die sich selbst fortpflanzen können (Leben – vor ca. 3,5 Mrd Jahre) |
Einzeller | Tierarten/Fauna | Kambrische Explosion, vor ca. 540 Mio Jahren entstehen in nur 5 – 10 Mio Jahren alle Tierarten |
Neurone | Gehirn/Bewusstsein | Bewusstseins-Werdung erfolgt erst in den letzten 5 bis 7 Mio Jahren, nach 530 Mio Jahren „langsamer“ Evolution von Nervensystemen. |
Mensch | Menschheit | Globalisierung/Digitalisierung Verzehnfachung der Menschen in nur 220 Jahren nach 200.000 Jahren Evolution. |
Was der Systemsprung für uns bedeutet
Was verändert sich durch diesen Systemsprung für uns als Einzelelement des neuen Systems?
- Gefühle sind überfordert. Wir werden auf einmal mit mehr Informationen versorgt, als wir verarbeiten können. Wir bekommen Information aus Ecken der Welt, die wir gar nicht beeinflussen können. Das überfordert unsere Gefühlsorganisation. Es entstehen zwar Auslöser für Angst, Sorgen, Frust und Ärger, wir können aber viel weniger dagegen tun. Sie laufen ins Leere und können sich nicht abbauen. In der alten Welt kamen die Informationen aus der direkten, unmittelbaren Welt, auf die man auch Einfluss hatte. Die Asymmetrie, das entstandene Ungleichgewicht von afferenten (Input) Signalen zu efferenten (Output) Signalen ist enorm. Wohin mit unseren Gefühlen?
- Das Gehirn ist überfordert. Das Gehirn soll eine Landkarte von der Welt erschaffen, die uns hilft, uns zurecht zu finden. Je besser der Stadtplan im Kopf, umso weniger verlaufen wir uns. Die Evolution hat uns einen Trieb der Neugier, der Erkenntnis geschenkt, der diese Landkarte schaffen soll. Diese Landkarte soll widerspruchsfrei und stimmig sein. Widersprüche, Unvereinbarkeiten, Erklärungslücken werden nicht geduldet. Denn das heißt ja, dass die Karte nicht stimmt.
- Überall da, wo Erklärungen nicht möglich sind (Woher kommt das Leben? Wohin geht es, wenn wir sterben und viele Fragen mehr), brauchen wir Hilfskonstruktionen, die uns die einlaufenden Informationen wieder konsistent erscheinen lassen. Eine dieser Konstruktionen sind Gott und Religion, aber auch Ideologien und Verschwörungstheorien. Das menschliche Gehirn strukturiert die Welt gern nicht nur in Ursache und Wirkung, sondern in Absicht und Wirkung auf mich selbst. Wir neigen dazu, Ursachen einem Wesen zuzuschreiben (Bill Gates, Rothschilds, Gottheiten etc.)
- Seitdem zum Stamm- und Zwischenhirn das Großhirn dazu gekommen ist, gibt es einen „Vertrag“ zwischen Emotion und Ratio: Die Ratio soll jedes Gefühl möglichst plausibel erklären. Dabei entsprechen die Rationalisierungen häufig gar nicht den wirklichen Ursachen. Das nennt man Konfabulation. Die „Emotio“ entscheidet, die „Ratio“ begründet.
Welche Auswirkungen haben digitale Algorithmen als neue „Nervensysteme“ auf unser Sozialleben und unsere Psyche?: Neue Systeme und die Konsequenzen – Menschheit im Wandel | Teil 3
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